(Es gibt noch einen Aspekt zu bekämpfen. Die Vorstellung, dass einzelne Pokerspieler konkret und ernsthaft damit rechnen können, Gewinne zu kassieren).
Ein Glücksspiel liegt vor, wenn für den Erwerb einer - zumindest überwiegend zufallsabhängigen - Gewinnchance ein Entgelt gezahlt wird (§ 3 Abs. 1 GlüStV).
"Den Regulierungen des Glücksspielrechts liege die empirisch gestützte Einschätzung zugrunde, dass ein Spielteilnehmer typischerweise gerade nicht geringfügige Verluste hinnehme und das Spiel beende, sondern sich erhoffe, durch eine Fortsetzung des Spiels den Verlust nicht nur wieder auszugleichen, sondern darüber hinaus den von Anfang an erhofften Gewinn zu erzielen."
Die von deutschen Finanzbehörden und Finanzgerichten ausgesprochene Vorstellungen, dass bestimmte Pokerspieler aufgrund einer durch jahrelange Spielpraxis vermittelten Überlegenheit gegenüber den Mitspielern konkret und ernsthaft damit rechnen können, Gewinne zu kassieren, ist realitätsfremd. Sie zeigt, dass keinerlei Erfahrungen in Bezug auf Glücksspiele vorliegen und selbst Richter und Juristen ein allgemeines Evaluationsproblem haben, das schon fast mit den typischen Einschätzungen von Spielsüchtigen vergleichbar ist. Die Finanzbehörden haben sich nicht zufällig aus nicht-experimentellen Daten (Gewinnerlisten) die Leute herausgesucht, die aus einer großen Menge von Spielern nach jahrelangen Zufallsexperimenten mit am besten abgeschnitten haben. Ähnliche Daten (Gewinnerlisten) könnte man auch bei anderen Glücksspielen zusammenstellen. Der damit verbundene Auswahlmechanismus basiert auf einer Selektionsverzerrung ("selection bias"). Immer dann, wenn man von einer Stichprobe, die keine wirkliche Zufallsauswahl darstellt, Schlüsse über Zusammenhänge in der Grundgesamtheit ziehen will, besteht die Gefahr von selektionsverzerrenden Fehlschlüssen.
Poker ist auch in Turnierform reines Glücksspiel. Die obersten Gerichte in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind sich bei dieser Beurteilung einig:
Glücksspielcharakter von "Texas Hold'em"-Pokerturnieren.
Die zufallsabhängige Gewinnchance die sich Pokerspieler mit ihren Einsätzen gegenseitig einräumen ist ein rein mathematischer Begriff aus der Stochastik, der den Ausgang eines Glücksspiels abschätzt. Die Gewinnchance beim Poker hat einen rein aleatorischen Charakter, ist nicht verkehrsfähig und hat steuerrechtlich keinen erfassbaren Wert. Ihr steht bis zur Konkretisierung des Spielgewinns nur ein Verlust-Risiko gegenüber.
Die Gewinnchance beim Poker hat keine feste Größe und ist von einer Reihe von Variablen und Unsicherheiten, die weitgehend alle zufallsbedingt sind, abhängig. Das unterscheidet Poker von vielen anderen Glücksspielen, bei denen die Höhe der Gewinnchance konkret berechenbar ist. Auch Spieler, die sich nur mit ihren besten Händen mit Einsätzen am Pokerspiel beteiligen, haben keine konkrete Erwartung auf einen sicheren Gewinn, weil fast alle Spieler in ähnlicher Weise agieren. Wenn einzelne Spieler zu lange auf eine spielbare Hand warten, werden sie durch die Pflichteinsätze (blinds und ante) bestraft und im übrigen sind die Gegner bei solchem Anfängerverhalten vorgewarnt. Im Durchschnitt ist davon auszugehen, daß jeder Spieler in etwa die gleiche Chance hat. Spielen nur zwei Spieler Poker, beträgt die durchschnittliche Gewinnchance etwa 50% und ist mit der Gewinnchance bei einem Münzwurf vergleichbar. Der sog. Erwartungswert schätzt beim Poker für jeden Einsatz den durchschnittlichen Gewinn in Relation zum Einsatz. Geht man von einer durchschnittlichen Gewinnchance von 50% (beim "headsup" Pokerspiel) aus und berücksichtigt die Spielgebühren des Veranstalters (rake), dann hat auch das Pokerspiel einen negativen Erwartungswert. Formalrechtliche Argumente, einzelne Gewinner beim Pokerspiel anders zu behandeln als z.B. Gewinner beim Roulette- oder Lotteriespielen, gibt es mE nicht.
Dass kein Pokerspiel bei dem der Veranstalter rake kassiert, eine korrekt berechnete Umsatzsteuer verkraften kann, könnten die Finanzbehörden bereits an üblichen Einsatz-/Gewinnverhältnissen erkennen, die leicht zu ermitteln sind. Die Vorstellung, dass Pokerspieler nur ihren Jahresgewinn der Umsatzsteuer zu unterwerfen haben, ist nicht mit dem UStG vereinbar. Soweit Finanzbehörden eine solche Handhabung pflegen, weil sie sonst ihre eigen Schätzungen als wirtschaftlich kaum darstellbar verwerfen müssten, wäre das mE rechtswidrig. Im übrigen ist beachtlich, dass die Umsatzsteuer nicht einfach aufgeschlagen werden darf. Sie ist aus den Bruttoumsätzen herauszurechnen, weil die Umsatzsteuer nie zur Bemessungsgrundlage zählt.
Würde man bei jedem Pokerspieler, den man aufgrund selektionsverzerrender Fehlschlüsse eine konkrete und ernsthafte Gewinnerzielungsabsicht unterstellt, die Umsatzsteuer korrekt berechnen, dann würde auch die Unterstellungen bezüglich seiner Gewinnerzielungsabsicht und die Vorstellungen, er könnte einen Gewerbebetrieb haben, sofort fallen. Damit zeigt sich für mich als Ergebnis meiner Betrachtungen, dass die Vorstellungen der Finanzbehörden nichts weiter als absurd und nicht haltbar sind.